
Viermal 850 Franken für ein Kind
BESTECHUNG. Bei Adoptionen aus Sri Lanka lief früher vieles schief. Missstände kommen auch heute oft nur ans Licht, wenn Paare ihren Kinderwunsch opfern. Das zeigt ein Fall aus Luzern.
Er brauche 3000 bis 6000 Franken, sagte der Mann am Telefon in gebrochenem Englisch. «Dann werden die Beamten Ihr Dossier bevorzugt behandeln.» – «Ist das legal?», wollte Deborah Alvarez* wissen. «Das ist so üblich in Sri Lanka.»
Deborah Alvarez hatte den Lautsprecher eingestellt. Ihr Mann Enrique* hörte mit, genauso wie ihr Schwager, der besser Englisch spricht als das Ehepaar aus dem Kanton Waadt. «Können Sie mir diese Informationen bitte noch schriftlich geben», brachte Alvarez noch über die Lippen. Der Traum vom Kind war eben geplatzt. Sie wollte sichergehen, dass sie sich nicht verhört hatte. Und sie wollte Beweise. Die Whatsapp-Nachricht, die sie ein paar Stunden später vom Adoptionsvermittler aus dem Luzernischen erhielt, liess keine Zweifel offen. Es tue ihm leid, dass man es auf diese Art versuchen müsse. Die Adoption sei legal. Vier Beamte würden das Verfahren beschleunigen, wenn sie je 850 Franken erhielten. «Bitte halten Sie diese Nachricht geheim!
»Geheimnisse, Lügen. Das kennt Deborah Alvarez. Ihre Identitätspapiere von 1982 sind voll davon. Der Name ihrer Mutter auf der Geburtsurkunde, die Angaben zum Geburtsort – alles falsch. Vielleicht ist sogar das Geburtsdatum erfunden.
Alvarez wurde in Sri Lanka geboren und als Baby adoptiert. Adoptionen waren dort damals ein Geschäft. Tausende Kinder wurden ihren Eltern gestohlen oder auf Babyfarmen eigens dafür gezeugt, ins Ausland verkauft zu werden. Hunderte kamen in die Schweiz. Die Schweizer Behörden ignorierten alle Hinweise auf Kinderhandel und bewilligten Adoptionen, selbst wenn das Einverständnis der leiblichen Eltern fehlte (siehe Beobachter Nr. 4).
Alvarez wird wohl nie erfahren, wer ihre leibliche Mutter ist und wie es zur Adoption kam. Sie schrieb dem Adoptionsvermittler umgehend. «Es tut uns leid, so wollen wir kein Kind adoptieren.» Adoptieren heisse nicht kaufen. «Wir wollen eine auf Liebe und Vertrauen basierende Beziehung zu unserem Kind nicht auf diese Art beginnen.»
Viel bezahlt, lange nichts gehört. Es war ein Ende mit Schrecken. Angekündigt hatte es sich schon lange. Das Ehepaar hatte sich ein Jahr zuvor, im März 2016, an den Adoptionsvermittler gewandt, der eine Bewilligung des Bundesamts für Justiz hatte und auf der offiziellen Liste von anerkannten Vermittlungsstellen war.
Bei einem Treffen habe ihr der Vermittler gesagt, das Verfahren dauere für sie nicht so lange, da sie ja aus Sri Lanka stamme. «Er sprach von sechs bis zwölf Monaten.» Normalerweise warten Paare mehrere Jahre auf ein Kind. Deborah und Enrique Alvarez eröffneten das Dossier und liessen alle nötigen Dokumente für die Behörden in Sri Lanka übersetzen. Dieobligatorischen Eignungsabklärungen und Gebühren kosteten rund 3500 Franken. Dem Vermittler überwiesen sie für seine Dienste rund 2500 Franken, weitere 1500 gingen an den Übersetzer. «Dann hörten wir ein halbes Jahr lang nichts», sagt Deborah Alvarez.
Nachdem sie mehrmals nachgefragt hatte, habe er ihr schliesslich eine mehrere Monate alte E-Mail aus Sri Lanka weitergeleitet. «Darin bestätigten die Behörden, dass sie unser Dossier erhalten hätten, aber die Warteliste sehr lang und die Aussicht auf ein Kind gering sei.» Das Ehepaar fühlte sich über den Tisch gezogen und beschwerte sich beim Vermittler.
Ein paar Tage später rief er an. Er habe ein vierjähriges Mädchen für sie, das perfekt zu ihnen passe. Das Ehepaar freute sich – und wurde stutzig: Im Dossier hatte man ein Alter von 0 bis 36 Monaten angegeben. «Kein Problem, er regle das», habe der Vermittler gesagt.
Deborah Alvarez rief bei der kantonalen Zentralbehörde an. Die Sozialberaterin sagte ihr, der Vermittler dürfe ihnen keinesfalls direkte Informationen geben. Die kantonalen Behörden überprüfen Dossiers von Kindern und Eltern und klären ab, ob sie zusammenpassen. Erst dann werden die adoptionswilligen Paare informiert – ebenfalls durch die Behörde.
Der Vermittler versprach ihr, das Kinderdossier der Behörde nachzureichen. Sie und ihr Mann stellten sich nun auf ein vierjähriges Mädchen ein. Sie waren auf Abruf, jederzeit bereit, nach Sri Lanka zu fliegen, um ihr Töchterchen abzuholen.
Meldung mit Folgen. Es kam anders. Anfang 2017 teilte der Vermittler mit, es klappe nun doch nicht mit diesem Kind. «Er tat so, als wäre nichts dabei. Doch für uns brach eine Welt zusammen», sagt Deborah Alvarez. Der Vermittler versprach, ein Kind im richtigen Alter zu suchen. «Wir gaben ihm noch eine Chance, sagten aber klar, er müsse den korrekten Ablauf einhalten.»
Was dann folgte – die Aufforderung, vier Beamten je 850 Franken zu bezahlen –, war Anstiftung zur Bestechung. Deborah Alvarez wandte sich an die Zentralbehörde des Kantons Waadt, wo man sie an das Bundesamt für Justiz verwies. Die Meldung hatte Folgen. Das Amt entzog dem Vermittler die Bewilligung und reichte in Luzern Strafanzeige ein. Ende April kam es vor dem Kriminalgericht zur Verhandlung. Trotz den eindeutigen Whatsapp-Nachrichten bestritt der Mann alle Vorwürfe. Der 62-Jährige, der 1985 aus Sri Lanka in die Schweiz kam und selber zwei Kinder von dort adoptiert hat, sprach von Missverständnissen. Er habe das Paar auf solche Praktiken in anderen Ländern hingewiesen und die beiden nur gefragt, ob es das sei, was sie von ihm wollten. Sie seien sehr ungeduldig gewesen, hätten ihn unter Druck gesetzt.
«Unglaubwürdige Schutzbehauptungen», befand der Einzelrichter und verurteilte den Vermittler wegen versuchter Anstiftung zur Bestechung. Anders als früher griffen die Behörden durch.
Die Zahl internationaler Adoptionen ist rückläufig. Letztes Jahr reisten in diesem Rahmen 72 Kinder ein. Trotzdem wirft der Fall Fragen auf. Wie werden die Vermittler kontrolliert? Liesse sich so ein Fall verhindern? Die Antwort: eher nicht.
Ein Problem ist die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen. Für die Bewilligung müssen Vermittler bestimmte Voraussetzungen erfüllen, etwa die Gepflogenheiten im Herkunftsland kennen, die Tarife offenlegen und sich dem Kindswohl verpflichten. Mindestens alle fünf Jahre wird dies überprüft. Zudem müssen sie jährlich einen Tätigkeitsbericht vorlegen. Die Aufsicht liegt beim Bund. Und die Kantone verlassen sich darauf, dass die anerkannten Vermittler korrekt arbeiten.
Beim Bund wiederum verweist man auf die fehlende Nähe. Für die Abwicklung der Adoptionen seien die kantonalen Zentralbehörden zuständig. Nur sie hätten Kontakt zu adoptionswilligen Paaren. Man tausche sich regelmässig aus, sei bei Problemen aber auf Rückmeldungen der Kantone angewiesen. Letztlich aber hängt es von den adoptionswilligen Paaren ab, ob Missstände ans Licht kommen. Und die stehen in einem Interessenkonflikt, wie Enrique und Deborah Alvarez, die schliesslich ihren Kinderwunsch aufgaben.
Adoptionen vertieft prüfen. «Ich finde es sehr mutig, dass sie das in Kauf genommen und den Vorfall gemeldet haben», sagt Sarah Ineichen. Sie ist Präsidentin des Vereins Back to the Roots, der sich für die Anliegen von Adoptierten aus Sri Lanka einsetzt. Sie frage sich, wie viele Paare dies wohl ebenfalls täten. «Illegale Geschäfte bei Adoptionen lassen sich nicht ausschliessen, wenn man es adoptionswilligen Paaren überlässt, Verstösse zu melden.»
Über den Luzerner Vermittler liefen gemäss Gerichtsakten seit 2004 29 Adoptionen aus Sri Lanka. Er war der Einzige, der Kinder von dort vermittelte. Die Staatsanwaltschaft fand keine Hinweise, dass es auch in anderen Fällen zu Unregelmässigkeiten gekommen ist.
«Es wäre wichtig, sämtliche Adoptionen dieses Vermittlers vertieft zu prüfen und die Legalität aller Dokumente sicherzustellen. Auch diese Kinder werden irgendwann Fragen stellen», sagt Sarah Ineichen. Sie fordert eine strengere Kontrolle der Vermittlungsstellen. Lippenbekenntnisse zum Kindswohl und wohlgefällige Tätigkeitsberichte – das reiche nicht.
Deborah und Enrique Alvarez haben zehn Jahre lang auf ein Kind gehofft. Die Adoption war die letzte Option. Zurück bleibt eine innere Leere – und Unverständnis: «Adoptionswillige Paare werden auf Herz und Nieren geprüft. Vermittler offenbar nicht.»
BEOBACHTER 12/2020 | TEXT: CONNY SCHMID | FOTO: DAVID WAGNIÈRES
*Name geändert